Geschlechtsidentität und -rolle

Die Geschlechtsidentität ist das subjektive Gefühl eines Menschen sich als Mann oder Frau (oder dazwischen) zu erleben. Es ist eng mit dem Geschlechtsrollenverhalten verbunden. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität ist multifaktoriell. Hormonelle Einflüsse vor und kurz nach der Geburt, psychische und soziale Bedingungen und kulturelle Normen scheinen eine Rolle zu spielen.
Der Begriff der Geschlechtsrolle ist die Gesamtheit der kulturell erwarteten, als angemessen betrachteten und zugeschriebenen Fähigkeiten, Interessen, Einstellungen und Verhaltensweisen des jeweiligen Geschlechts.
Die Entwicklung der Geschlechtsrolle und die Identifizierung mit dieser Rolle unterliegen einem Sozialisationsprozess. Man geht heute davon aus, dass sich die „Überzeugung“ männlich oder weiblich zu sein (Kerngeschlechtsidentität) schon vor dem Ende des zweiten Lebensjahres gebildet hat. Dabei leben Kinder ihr empfundenes Geschlecht zunächst unbewusst.
Beeinflusst wird die Entwicklung der Geschlechtsidentität und -rolle von Umwelterfahrungen - überwiegend vor dem Hintergrund der kulturellen Übereinkunft von Zweigeschlechtlichkeit. Mit der Geschlechtszuweisung nach der Geburt sind eine Vielzahl von Verhaltensweisen verbunden von Bezugspersonen und dem Umfeld, welche die weitere Entwicklung beeinflussen und die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtergruppe formieren. Kinder werden mit Erwartungen konfrontiert, die an sie als Junge oder Mädchen gestellt werden. Sie übernehmen diese Rollenerwartungen (mehr oder weniger) und identifizieren sich mit ihrem männlichen oder weiblichen Geschlecht. Eine Identifikation mit dem eigenen Geschlecht hat auch die Übernahme von bzw. die Auseinandersetzung mit den vorgelebten Rollenerwartungen zur Folge.
Bis zum Ende des Vorschulalters ist der Prozess der Aneignung einer Geschlechtsrolle abgeschlossen. Eine Neubewertung und ein flexiblerer Umgang mit Rollenmodellen tritt dann im Jugendalter zutage.
Störungen der Geschlechtsidentität zeigen sich in diesem Alter durch ein anhaltendes ausgeprägtes Unbehagen und Leiden am eigenen biologischen Geschlecht. Sie gehen mit dem eindringlichen Wunsch einher, entsprechend dem anderen Geschlecht leben zu wollen und diesem auch anzugehören.
Quellen
- Birgit Delisle (2015): Jugendsexualität zwischen medialer Darstellung und individuellem Erleben. korasion Nr. 1, Januar 2015 (pdf)
- Birgit Köhler (2010): Junge oder Mädchen? Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD). korasion Nr. 1, Februar 2010
- Dr. med. Bernd Meyenburg und PD Dr. med. Annette Richter-Unruh (2012): Leben im falschen Körper – Transsexualität im Kindes- und Jugendalter. korasion Nr. 2, Mai 2012
- Gisela Gille (2015): „Ich höre was, was du nicht fragst…“ – Prävention mit 9- bis 14-jährigen Mädchen in der gynäkologischen Praxis. korasion Nr. 4, August 2015 (pdf)
- Erwin J. Haeberle (1985): Die Sexualität des Menschen (2. Aufl.). De Gruyter
- Herpertz-Dahlmann, Resch, Schulte-Markwort, Warnke (2005): Entwicklungspsychiatrie. Schattauer
- Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage, Januar 2017
- Bode, Heidrun, Heßling, Angelika (2015): Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14- bis 25-Jährigen. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativen Wiederholungsbefragung. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln (pdf)