09.03.2021
Regelblutung kann bei zu viel Esskontrolle ausbleiben
Essstörungen können bei jungen Mädchen und Frauen zu einem Ausbleiben der Regelblutung führen, bis hin zu einem dauerhaften Aussetzen der Menstruation. Frühe Hilfestellungen sind hier wichtig.
Eine ausbleibende Regelblutung – im Fachbegriff „Amenorrhoe“ genannt – kann verschiedene Ursachen haben, unter anderem auch eine zu restriktive Ernährung. „Sehr früh fangen manche Mädchen an, Diäten einzuhalten und ihre Nahrungsaufnahme intensiv zu kontrollieren, weil sie sich sonst zu dick, zu unansehnlich, zu unsportlich oder nicht genug anerkannt fühlen“, erläutert Priv.-Doz. Dr. med. Michael Stephan von der Klinik für Psychosomatik der Medizinischen Hochschule Hannover. „Wenn ein Mädchen aber längere Zeit konsequent weniger Energie zu sich nimmt als es eigentlich biologisch braucht, kann die Menstruation auch schon bei normalem Gewicht ausbleiben.“ Denn der Körper „entscheidet“ dann selbstständig, dass nicht genug Energie vorhanden ist, um eine Schwangerschaft durchzustehen; der Zyklus wird eingestellt.
Nur ein Teil der Mädchen findet nach einer solchen Phase des sehr reduzierten und kontrollierten Essens in ein gesundes Gleichgewicht zurück. Andere entdecken, dass die starke Einschränkung ihrer Nahrung für sie persönlich nicht nur ein Mittel darstellt, um Körpergewicht zu reduzieren, sondern auch ein Weg ist, um Emotionen zu beherrschen, überlegen zu sein, nicht erwachsen zu werden und auch ihrer Sexualität aus dem Weg zu gehen. Für diese Mädchen und jungen Frauen bedeutet ihr Essverhalten kein Problem, sondern im Gegenteil die Lösung für ihre Probleme.
Wenn das, was als Diät begonnen und sich dann verselbständigt hat, über Monate oder gar Jahre fortgeführt wird, kann sich dieser Prozess allerdings gegen das Mädchen richten: Alle Gedanken kreisen am Ende nur noch um die Nahrungsaufnahme und das Vermeiden des Essens; die Konzentration, die Leistungsfähigkeit und Lebenskraft schwinden. Immer stärkere Kontrolle scheint die Rettung, führt jedoch immer tiefer in den Teufelskreis.
Was für Außenstehende – also die Eltern oder auch Ärzte – eine gute Idee scheine, nämlich der Rat „iss doch mal mehr“, stelle sich in dieser Situation aber schnell als wirkungslos heraus. „Für die Mädchen bedeutet das nur, dass da jemand ist, der sie nicht versteht und nicht verstehen will“, so Dr. Stephan. „Einen Weg aus dieser Situation heraus gibt es eigentlich nur, wenn das Mädchen oder die junge Frau selbst erkennt, dass es ihr besser gehen wird, wenn sie ihr – für sie bewährtes – Konzept der völligen Nahrungskontrolle aufgibt. Das bedeutet, sich auf einen neuen Weg zu begeben, der als gefährlich und beängstigend wahrgenommen wird.“
Rückzüge sind eher die Regel als die Ausnahme
Auch dass irgendwann die Menstruation wieder einsetzt, werde dabei nicht immer als positiv gesehen. Überhaupt sei es für manche Mädchen und junge Frauen sehr schwierig, Hilfe anzunehmen. „Es ist in der Betreuung dieser Patientinnen und ihrer Familien manchmal ein langer Prozess, sich vorsichtig zu öffnen, sich dabei nicht zu verletzen, sich zu vertrauen und dann in winzigen Schritten die Situation gemeinsam zu ändern. Rückzüge und Rückschritte sind eher die Regel als die Ausnahme. Denn in vielen Situationen kann es immer wieder einfacher scheinen, die Kontrolle über das Leben durch eine Kontrolle des Essens zu gewinnen, statt sich damit befassen zu müssen, wie alltägliche Konflikte auf andere Weise ausgehalten und gelöst werden könnten. Aber es lohnt sich für alle, die Hoffnung und die Zuversicht nicht aufzugeben. Ein Ausweg aus der scheinbar verfahrenen Situation ist in vielen Fällen möglich.“
(1) FOKO 2021, 05.03.2021. 4. Hauptthema: Das junge Mädchen in der Gynäkolo-gie und Geburtshilfe. Priv.-Doz. Dr. med. Michael Stephan, Hannover: Essstörun-gen: Was der Frauenarzt dazu wissen muss. Prof. Dr. med. Patricia G. Oppelt, Erlangen. Blutungsstörungen. Prof. Dr. med. Sara Brucker, Tübingen: Fehlbildungen - rechtzeitig erkannt und richtig operiert.
Quelle: Highlights vom Fortbildungskongress 2021 der BVF Akademie des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V. © FOKO